Also gut. Da bin ich wieder. In einem Dating-Portal, das unbekannt, originell und irgendwie eigenartig ist und in dem sich viele entsprechende Menschen finden. Ich habe neue Fotos, einen neuen Text, neue Profil- und Suchangaben und werde über Nacht damit geflutet, dass mir über dreißig neue Profile angezeigt werden. Sonst sind es vielleicht ein oder zwei neue Profile in Wochen gewesen. Mein Text hat mich ganze Arbeit gekostet. Etliche Seiten, die ich immer wieder und wieder und wieder neu geschrieben und gekürzt habe. Telefonate, die ich mit dem Silvester-Freund geführt habe, der mir dabei half, einen, wie wir fanden, schon recht guten Text noch sehr viel besser zu machen. Und kürzer. Kürzer war entscheidend.
Alles ist neu. Und ich merke, auch ich bin nicht mehr ganz die Alte. Meine Vorstellungen sind klarer. Ich weiß sehr viel genauer jetzt, was ich unbedingt will und was gar nicht.
Grenzen scheint das Zauberwort zu sein. Das, was ich über Jahre zu wenig gesetzt habe und womit ich jetzt vielleicht etwas großzügiger als notwendig umgehen werde. Ein Risiko, das ich gerne eingehe und doch für klein halte. Manche Menschen grenzen sich zu stark ab, andere zu wenig und ich würde mich darüber freuen, einfach eine Art Mittelmaß zu sein, zumindest in diesem Bereich.
Ich schreibe ein, zwei Frauen an, die ich schon länger anschreiben wollte. Weil das hier nicht nur ein Dating- sondern auch ein Freundeportal ist. Und obwohl ich weiß, dass das eine ganz ganz schlechte Idee sein könnte, rufe ich deine Nachrichten ab. Die, die wir uns vor über 1 1/2 Jahren geschrieben habe. Als mir noch nicht klar sein konnte, dass du und ich eine Beziehung voller Leidenschaft, Intensität, tiefer Gefühle, großer Konflikte und einem lauten Knall an ihrem Ende führen würden. Ich lese unsere alten Worte und werde immer noch von unserer gemeinsamen Originalität und der Leidenschaft, die uns ausmacht, gepackt. Und mir wird klar, dass ich dich vermisse. Dass ich dir immer noch etwas nachhänge und dass all die Dinge, die ich über dich, mich und uns sage, zwar der Wahrheit entsprechen und äußerst klug und vernünftig sind, aber dass sie auch Strategien sind, davon abzulenken, dass ich emotional noch nicht so sehr im Reinen damit bin, wie ich es gerne wäre. Ich wäre gerne mit dir zusammen, würde gerne wieder die Leichtigkeit, die Nähe und das Gemeinsame zwischen uns erleben und spüren.
Aber all die Konflikte, die immer mitschwangen. All das, was zwischen uns so schwierig war. Mein Bedürfnis nach Klarheit, dein Bedürfnis nach Unverbindlichkeit. Mein Bedürfnis, auch über die für mich schwierigen Dinge mit dir zu sprechen, dein Wunsch, dass ich das alles mit mir allein ausmache. Das Wissen, dass all das gar nicht so üblich und gut ist, wie ich es mir eine Weile lang einreden wollte. Das alles wog und wiegt zu schwer. Und so rüge ich mich, wenn ich mich frage, ob ich nochmal eine so tolle Beziehung mit einem so tollen Menschen wie dir führen werde und kann. Weil das hier rosarote Erinnerungsfantasien sind, die sehr viel Wahrheit, aber eben nicht die ganze enthalten.
Es ist okay, sagt mein Kopf. Es ist okay, das zu empfinden und es wäre seltsam, würde ich es nicht tun. Eine Art Tribut an eine überwiegend schöne Zeit mit einem interessanten Menschen. Ein Tribut für all das, was sich dadurch in mir bewegt und berührt fühlt.
Es geht weiter. Entscheidend ist nicht, ob das genau jetzt der Fall ist. Das Einzige, in das ich mich wirklich stürzen möchte, ist das Leben selbst. Alles andere wird sich ergeben. So, wie es das immer tut. Und irgendwann sind die Emotionen nur noch zu Erinnerungen getrocknete Blütenblätter, die immer noch schön, aber etwas anders und weniger farbintensiv sind.