Junimond

Seit Wochen höre ich Lieder aus meiner Kindheit und Jugend. Und irgendwann, da bleibe ich bei diesem einen Lied hängen, das ich immer wieder und wieder höre. Zwischendurch denke ich dabei an dich und empfinde ein gutes Gefühl. Dabei ist es das englische Liebeslied einer Boyband, das, wie so ziemlich alle Lieder damaliger Boybands, äußerst kitschig ist. Es handelt davon, jemanden so sehr zu vermissen und erst im Rückblick zu erkennen, dass man die Person hat gehen lassen, die man über alles liebt und es nun zu spät dafür ist, weil diese Person bereits jemanden gefunden hat.
Dabei ist es nicht das, was dich oder mich oder unser bestehendes Verhältnis zueinander ausmachen würde. Ich denke mit einem guten Gefühl an dich, weil all die schlechten Gefühle weitgehend aufgebraucht zu sein scheinen.

Und mir wird erst nicht klar, wie sehr das Leben (und mein Musikgeschmack) ein weiteres unzähliges Mal seinen Hang zur Situationskomik und zur Ironie ausdrückt, als du mir abends bei einem unserer alle paar Wochen stattfindenden Telefonate eine Neuigkeit verkünden willst. Du tust dich schwer, leitest ein, dass du etwas zu sagen hast und dass wir einander versprochen haben, ehrlich zu sein und dass es dir schwer falle.
Ich unterbreche dich und sage dir: „Sags einfach.“ Du siehst es nicht, aber ich mache die Augen zu, weil wir beide längst wissen, was nun passieren wird.
„Also. Ich habe jemanden kennengelernt.“
Ich lasse deine Worte in unsere Stille hineinklingen, versuche ihren Geschmack zu erahnen, versuche herauszufinden, was ich fühle, denke. Aber da ist nichts. Nicht mal Leere. Ich bin verwirrt und ich weiß selbst nicht, ob das jetzt von dem Umstand kommt, dass du jemanden kennengelernt hast oder davon, dass mich dieser Umstand nicht so empfinden lässt, wie ich es vielleicht erwartet hätte.
„Okay“, sage ich mit klarer, fester Stimme in die Stille hinein, „Das freut mich für dich.“
„Ehrlich?“, fragst du. Und deine Stimme klingt zerbrechlich.
Du hast nicht damit gerechnet und ich muss vor mir zugeben, das hätte ich auch nicht. Wir reden darüber und du sagst, du hättest mit mehr Emotionalität gerechnet und damit sind wir zu zweit.
Du erzählst nicht viel über sie, aber das, was ich höre, genügt an sich auch schon. Ihr habt euch so kennengelernt, wie wir uns kennengelernt haben. Sie fand dein neues Profil, im Gegensatz zu mir, äußerst toll und dieser Unterschied allein scheint dir schon Zeichen genug zu sein, dass das mit euch besser passen wird. Du erzählst, dass ihr ähnliche Themen habt und auch das nimmst du als gutes Zeichen und ich frage mich, was genau es bedeutet, dass eure Themen da ähnlich sind und ich erinnere mich daran, wie ich mal sagte und dachte, dass zwei Personen mit diesem Thema vermutlich nicht sehr glücklich miteinander werden würden und du hast dich schon damals skeptisch geäußert, ob ich Recht damit habe. Nun wirst du es für dich herausfinden.

Mein Ego lässt sich ein paar Mal an diesem Abend und in den nächsten Tagen davon anknippsen. Ich frage mich, wie sie ist. Ob ich sie sympathisch finden würde oder ob ich von ihrer Art oder ihrem Aussehen eingeschüchtert wäre. Ich frage mich, wie lang es dauern wird, bis ihr offiziell zusammen seid – mir ist klar, dass das nur noch eine Frage von Tagen sein wird – und ob ihr langfristig glücklich miteinander sein werdet. Die größte Frage aber ist, was mit all den Dingen ist, die zwischen uns standen. Wirst du mit ihr die gleichen Probleme haben? Oder wirst du jetzt die glückliche, perfekte, sorglose Beziehung mit ihr führen, die ich so gern mit dir gehabt hätte und ihr all die Dinge geben können, die ich mir so sehr von dir gewünscht hätte, und andersherum all das von ihr bekommen, das du so vergebens bei mir gesucht hast?

Dann schüttel ich den Kopf. Während des Gesprächs und an all den Tagen darauf. Das hier ist mein Ego, der eitle Pfau, der immer wieder vergisst, dass es nicht darum geht, am schönsten und imposantesten zu sein. Das gleiche Ego, das alles als dankbaren Anlass nimmt, sich selbst in Frage zu stellen und mich damit aus der Reserve zu locken. Ich rufe meinem Ego zu, dass das hier dumm ist. Und unnötig. Und sowas von Blödsinn. Und dass es und ich die Wahrheit über all diese Dinge zu gut wissen, um uns gegenseitig Lügen zu erzählen. Und mein Ego verneigt sich vor der Stärke, die ich in den letzten Monaten entwickelt habe, zieht seinen Hut und lässt mich in Ruhe. Auch in den nächsten Tagen, jedes Mal, wenn es wieder an die Tür klopft, um anzufragen und sich erneut von mir die Bestätigung zu holen, dass ich mir immer noch sicher bin.

Deine Neuigkeit hat mich im ersten Moment verwirrt. Weil wir einander noch ein Treffen versprochen hatten. Ein Treffen, von dem ich mir versprochen hatte, dass ich für mich endgültig den berüchtigten Haken unter diese Geschichte setzen kann und mir beweisen kann, dass es kein Zurück mehr gibt und danach endlich jemand sein kann, der seine Beziehung endgültig hinter sich lässt. Ein Treffen, von dem du, wie du jetzt zugibst, gedacht hast, dass alles offen sei.
Ich komme also nicht umhin, mich zu fragen, ob das hier nicht auch eine glückliche Fügung des Schicksals ist, weil das Schicksal es uns erspart, ein weiteres elendiges Mal Gefahr zu laufen, in die Wir-versuchen-es-doch-noch-miteinander-Mühle zu geraten. Das Treffen möchte ich plötzlich nicht mehr, es erscheint mir auf einmal so aufschiebbar.
Mir ist klar, dass das hier jetzt die Erfahrung ist, die du unbedingt machen solltest, ganz gleich, wie genau sie aussehen wird.
Aber noch viel klarer wird mir nach dem Telefonat, dass ich unbedingt das Treffen wollte, weil ich für mich eine Antwort darauf haben wollte, ob ich nun bereit bin, wirklich alleine weiterzugehen und dass ich nun das Treffen nicht mehr brauche, weil ich meine Antwort bereits habe.

Das hier hat fast fünf Monate gedauert. Ich denke immer noch gerne daran, was wir hatten, aber ich denke auch daran, was wir alles nicht miteinander hatten und es hilft mir, dankbar zurück und glücklich nach vorne zu sehen.

„Hast du niemanden kennengelernt?“,
fragst du. Nicht zum ersten Mal in den vergangenen Monaten. Du fragst mich das jedes Mal.

Da war der Mann, den ich zwei Mal gedatet habe und zu dem der Kontakt abgebrochen ist, nachdem ich ihn nicht mehr angeschrieben habe, weil er mich immer angeschrieben hat. Bei unserem zweiten Date wollte er mich küssen und ich hatte ihm vorab mal gesagt, dass die Situation mit dir noch kompliziert sei. Das ist Monate her. Ich hatte mich abgewandt und er hatte mich schockiert angesehen.
Da war der Mann, den ich ein paar Mal freundschaftlich getroffen habe, bis wir auf seinem Sofa intim miteinander geworden sind, ohne Sex zu haben. Er war der erste Mann, der mich nach dir, Monate später, angefasst hat und ich fand es schön, wieder Nähe zu spüren und zu kuscheln und ich fand es schön, das zum vielleicht ersten Mal in meinem Leben zu können, ohne mich von jemandem abhängig zu machen. Wir haben uns seitdem nicht mehr wiedergesehen.
Da war oder ist der Mann, den ich mal vor dir gedatet habe. Auch ihm bin ich nahe gekommen, ohne Sex zu haben. Auch hier sind die Verhältnisse geklärt. Wir haben uns das Bett geteilt und es war schön, diese Nähe zu spüren und mir klar zu machen, dass sich diese Dinge auch so anfühlen können.

„Nein. Da ist niemand“, sage ich. Vielleicht wird da irgendwann in ein paar Wochen, Monaten oder Jahren wieder jemand sein. Aber auch wenn du offenbar findest, dass es relevant sein könnte, dass es uns beiden da gerade ähnlich geht, finde ich das gar nicht.
Mir geht es gut damit. Und so sitze ich ein paar Tage später mit einem Freund in einem Restaurant, erzähle ihm davon und strahle, weil ich einen schönen Abend habe und keinen Liebeskummer. Und gemeinsam albern wir, dass ich, nachdem ich im Moment ohnehin die besten Hits der 90er und 2000er im Auto zum Besten gebe – inklusive jeder schrillen Tonlage und den schrägsten Auto-Tanzmoves, die ich zu bieten habe – auf der Rückfahrt „Junimond“ hören könnte. Und noch im Restaurant singe ich betont schief (nicht, dass ich unbetont irgendwie besser singen würde) „Es ist vorbei, bye bye Junimond – Es ist vorbeeeeeei.…. Bye bye.“


3 Kommentare zu „Junimond

  1. alle menschen, so denke ich, könnten aus liedern ihr leben zu einem potpourri zusammensetzen. ich habe es für mich noch nicht versucht. schön und angemessen hast du deine geschichte gesschrieben, diese momente.

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