Einbahnstraße

Der letzte Eintrag ist etwa ein halbes Jahr her. Ich würde wahnsinnig gerne an dieser Stelle aufschreiben, wie sehr sich alles in meinem Leben zum Positiven verändert hat. Wie ich den einen Mann hinter mir ließ, um den Mann fürs Leben zu finden und mit ihm glücklich zu werden und wie ich mit ihm glücklich wurde.
Aber die Dinge kommen nicht immer so, wie man sie wahnsinnig gerne hätte.

In den letzten sechs Monaten ist nicht so wahnsinnig viel passiert. Äußerlich. Ich habe den gleichen Wohnort, die gleiche Wohnung, den gleichen Job, den gleichen Beziehungsstatus. Nicht mal mein Freundeskreis hat sich verändert.

Als ich das letzte Mal hier schrieb, hatte mein Ex-Freund gerade einen erneuten Kontaktversuch gestartet und damit unserer Endlosscheife aus On und Off, aus Annäherungen und Distanzierungen, einen weiteren elendigen Comeback-Versuch geschenkt. Es war das erste Mal, dass ich mich in der Lage fühlte, diese Beziehungsautobahn, die in unserem Fall nur ein großer Kreis war, zu verlassen und die nächste Ausfahrt zu nehmen. Heute würde ich andere Worte wählen als ich das noch vor sechs Monaten getan habe, würde entschlossener dahinterstehen und keine Türen mehr offen halten. Doch das Ergebnis bliebe im Wesentlichen das Gleiche und deshalb sind die Dinge hier genau so, wie sie in meinen Augen sein sollten. Mein Ex-Freund lebt sein Leben, ich lebe mein Leben und wenn alles gut läuft, haben wir beide es endgültig geschafft, voneinander loszulassen und werden höchstens in ein paar Jahren mal einen Kaffee zusammentrinken und uns dann erzählen, wie sehr wir beide es geschafft haben. Seine Nummer habe ich inzwischen gelöscht, einen Großteil der Fotos auch. Den fast kompletten Chat habe ich ein Mal noch mal durchgelesen, nur um festzustellen, dass ich das nicht nochmal und auch nicht zurück haben möchte.

Danach folgte der Beginn von etwas, was bisher nicht aufgehört hat. Es lässt sich schwer ohne dramatische Worte ausdrücken, schätze ich. Weil ich dem so viel Bedeutung beimessen will, wie es in meinem Inneren für mich hat. Letztendlich war die letzte Beziehung – jene, die nur ein Jahr ging, aber insgesamt drei Jahre lang meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat -, der berüchtigte Tropfen, der mein inneres Fass hat überlaufen lassen und mir das Gefühl gegeben hat, ich werde es niemals schaffen, eine glückliche Beziehung zu führen mit jemandem, der so wirklich mit mir zusammen sein will, der sich voll und ganz auf mich einlässt und für mich genauso da ist, wie ich für ihn da sein möchte.
Ich fing an, mich mit dem Thema auseinanderzusetzen und die Taschenlampe auf Bereiche meines Inneren zu richten, die ich vorher vermutlich noch nie genauer betrachtet habe. Es ist ein Prozess, der sich anfühlt, als wäre ich von der Kreisautobahn geradewegs in eine Einbahnstraße eingebogen: Es gibt nur diese eine Richtung, nur nach vorne. Es gibt kein Zurück. Und egal, wie sehr sich diese Einbahnstraße auch noch zieht, es ist klar, dass ich zwangsläufig irgendwann am Ziel ankommen werde, ankommen muss, solange ich nicht das Auto absichtlich gegen die nächste Laterne krachen lasse. Und das habe ich nicht vor.
Unterwegs gab es aber sicherlich bereits kurze Pannen, wegen denen ich Pausen einlegen musste.

Eine war vermutlich die Geschichte vor ein paar Monaten mit einem Mann, den ich im echten Leben kennengelernt hatte. Er verehrte mich schnell, bemerkte den bemerkenswerten Teil meiner Persönlichkeit und weniger ihre Schattenseiten. Und er hatte alles, was mein zukünftiger Partner im Idealfall nicht hat: einen eher schwierigen Zugang zu seinen Gefühlen; die Tendenz, Sorgen zu überspielen und zu verdrängen; ein manipulatives Verhalten; ein Minimum an Empathie und Reflexionsbereitschaft
Ach und die bemerkenswerte Eigenschaft, Dinge auf mich drauf zu projizieren, die ganz offenkundig nichts mit mir zu tun haben. Ich kenne wirklich keinen vernünftigen Menschen da draußen, der mit klarem Verstand darauf käme, mir zu sagen „Du, ich habe bei dir manchmal das Gefühl, du nimmst das Leben gar nicht richtig ernst.“ Ich muss immer noch sarkastisch auflachen, wenn ich an diesen Moment denke, weil er nicht nur unser letzter gemeinsamer Moment sondern auch der mit Abstand absurdeste gemeinsame Moment war.
Dafür hatte er vieles, was mich offensichtlich anzieht, allem voran eine Ausstrahlung der Unabhängigkeit und Sorglosigkeit. Ehrlich, ich glaube, bisher war es so, jemand hätte den Männern mit auffälligem Bindungsverhalten ein riesiges Leuchtschild umhängen könnte und ich hätte es trotzdem geschafft, es zu ignorieren. Bisher.
Die Geschichte ging nicht sonderlich gut aus, weil er, wie sich herausstellte, nicht nur – in meinen Augen – etwas manipulativ war, was in Kombination mit gemischten Signalen bei mir zu absoluter Verwirrung führte, sondern auch ein ausgeprägtes Eifersuchtsproblem hatte. Wobei wir Letzteres unterschiedlich sehen. Ich denke, wir sehen die komplette Geschichte unterschiedlich. Natürlich habe ich die Geschichte hier einseitig dargestellt und gebe mir hier gerade gar nicht erst die Mühe, das hier möglichst beidseitig darzustellen, auch wenn ich die Geschichte und diesen Mann für mich in meinem Kopf deutlich differenzierter sehe. Diese Geschichte zog einige Konsequenzen mit sich. Ich verlor mit ihm erneut jemanden, dem ich sehr viel Bedeutung geschenkt hatte und hatte dabei das Gefühl, völlige Schuld dran zu haben. Diese Schuldgefühle führten zu Selbstzweifeln. Diese Selbstzweifel wiederum führten zu Ängsten vor Ablehnung. Und diese Ängste vor Ablehnung führten dazu, dass ich mich plötzlich total in Frage stellte – was weitere Selbstzweifel nach sich zog. Ich entdeckte dabei aber auch den einen oder anderen halbblinden Fleck, unter anderem die Tatsache, dass ich in den letzten Monaten die Aufmerksamkeit von unterschiedlichen Männern, die mir zu Teil wurde, sehr genossen hatte und mich und meinen Wert darüber definiert habe. Die Geschichte mit dem Mann ging übrigens so aus, dass er erst verletzt von meinem Verhalten war, er mich kurz darauf sehr mit seinem Verhalten verletzte und ich wiederum eine harsche Grenze zog und, möglicherweise, ihn damit wiederum verletzte. Wir werden uns in Zukunft weiterhin begegnen, zwangsläufig, auch wenn ich denke, dass mehr als bloße Duldung von beiden Seiten nicht zu erwarten ist. Bloße Duldung wäre schon alles, was ich mir wünsche.
Ich würde einiges an Dingen anders machen im Nachhinein. Angefangen damit, dass ich mich erneut auf jemanden eingelassen hatte, bei dem es von Anfang an absehbar war, dass das nicht gelingen würde. Panne eben.

Das führt mich zu dem deutlich spannenderen Teil, nämlich eben zu jener Einbahnstraße, die ein wenig wie eine Straße aus meiner Kindheit ist. Und ich fahre an jedem einzelnen Haus vorbei und ich sehe all die glücklichen Kindheitsmomente. Sehe meine mich liebende, wohlbehütende Familie. Sehe mein Kinderlachen, meine Unbeschwertheit. Die vielen Momente, in denen ich fröhlich, wild und frei auf dem Fahrrad durch den Ort fuhr. Weitere, in denen ich etwas viel am Super Nintendo saß (Hallo 90er!). Momente, der Herzlichkeit, der Liebe und der Leichtigkeit. Das sind tolle Erinnerungen, die mir warme Gefühle geben, wenn ich daran denke.
Ich habe immer auch den Teil meiner Kindheit gesehen, der sie nicht ganz so hell war, aber für mich war das immer der „Das war eben so“-Teil. Der „Du kanntest es ja nicht anders und für dich war das ganz normal“-Teil.

Ich habe etwa 3 Jahrzehnte meines Lebens gebraucht, um eines Morgens aufzuwachen und zu verstehen, wie sehr das, was mal passiert ist, mich heute immer noch beeinflusst. Ich habe ebenso lang gebraucht, um das Wort „Trauma“ in Bezug auf mich in den Mund zu nehmen. Denn das war es für mich nie. Nicht vom Verstand her. Eben „Du kanntest es ja nicht anders und für dich war das ganz normal“. Ich dachte insgeheim immer, es stünde mir nicht zu, das, was passiert ist, wie etwas Dramatisches zu formulieren, obwohl es für mich eben dramatisch war. Ich verwende das Wort immer noch nicht sonderlich laut, aber es ist wie ein Ventil zu einem verklemmten Wasserhahn, durch den lange kein Wasser laufen durfte und dessen Rohr etwas rostig geworden ist. Das Wort erlaubt mir, einen Schmerz zuzulassen, den ich Jahrzehnte lang heruntergespielt habe. Ich kannte es ja nicht anders.

Seit ich in diese Einbahnstraße gebogen bin und diese Dinge für mich aufarbeite und näher betrachte – und es kann gut sein, dass ich in absehbarer Zeit an den Punkt kommen werde, an dem ich dabei professionelle Unterstützung brauche -, fühle ich mich als hätte ich mein ganzes Leben lang nur mit einem halb geöffneten und mit 1 1/2 geschlossenen Augen verbracht. All die offensichtlichen Dinge, die ich heute im Leben anderer Menschen relativ klar identifiziere, aber in meinem eigenen eben nie gesehen habe.
Dazu gehört auch die Geschichte mit der Psyche. Denn inzwischen ist mir klar, dass meine Angstprobleme eine unmittelbare Verbindung zu meiner Kindheit haben. Es erscheint mir jetzt so offensichtlich, dass ich mich frage, warum mir das nie vorher klar war. Aber tatsächlich habe ich ehrlicherweise die ganze Zeit über gedacht, dass einfach mit mir nicht so ganz was stimmt. Dass ich vollkommen in Ordnung bin, muss ich erst begreifen.

Dieser Prozess wird noch eine Weile in Anspruch nehmen, da bin ich mir sicher, auch wenn ich glaube, dass diese Weile kurzweiliger sein könnte als ich es befürchte. Es tut zeitweise ziemlich weh und manchmal bin ich mir nicht sicher, ob ich wirklich noch vorwärts fahre oder nicht in Wirklichkeit den Rückwärtsgang eingelegt habe. Aber insgeheim weiß ich, dass es selbst dann auf Dauer nur „geradeaus“ als einzige Richtung geben wird. Es wird vielleicht auch noch die eine oder andere Panne geben. Würde ich gerne vermeiden, wird mich dann aber zumindest noch mehr über den Wagen lehren.



Vielleicht werde ich irgendwann nochmal mehr darüber schreiben, aber für den Moment war das hier schon ungewöhnlich offenherzig. Ich hatte lange nicht mehr das Gefühl, das, was mich innerlich so bewegt, so offen aufschreiben zu können. Das tat richtig gut. Ich mache keine Versprechungen mehr – vielleicht lest ihr mich in ein paar Tagen, einer Woche, ein paar Wochen oder doch erst in einem halben Jahr wieder.

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