Ich weiß manchmal nicht, ob es auch aus der Außensicht okay ist, hin und wieder Einträge im betrunkenen Zustand zu schreiben. Wir sind die einzige Spezies, die bewusst und willentlich etwas (zur eigenen Unterhaltung) konsumiert, das eigentlich ein pures Gift ist und nicht den geringsten Nutzen hat.
Ich stehe auf der Tanzfläche. Alberne, platte deutsche Lieder trällern aus den Boxen. Ich hatte bereits ein paar Bier zu viel. Überall sind Männer, immer wieder berühren mich manche an den Schultern oder den Hüften. Meine Augen leuchten und ich sehe das Begehren in den Augen um mich herum. Viel zu viele Augen. „Knutsch doch mit dem herum“, sagt die eine von den beiden, mit denen ich unterwegs bin.
Und die Auswahl wäre groß. Ein Teil ist verheiratet (oder dabei, es zu sein) und auch wenn ein Teil unserer Dreierrunde sagt, das wäre kein Ding, lasse ich mich nicht beirren. Ich finde es nicht mehr richtig, Single-Menschen, die etwas mit verheirateten Menschen anfangen, zu verurteilen. Aber das heißt trotzdem nicht, dass ich das tun möchte. Oder werde.
Also unterhalte ich mich mit einem Mann, den ich ganz attraktiv finde. Ein Teil unserer Dreiergruppe weist mich darauf hin, dass einer seiner Freunde gesagt hat, er sei „ein bisschen verheiratet“. Und auf Nachfrage streckt er mir seinen Ehering entgegen. Ich lächle und frage ihn nach seinen Kindern und er erzählt mir, dass er bald zwei habe – ein Mädchen und das andere sei unterwegs. Ich gratuliere ihm und stoße mit ihm an und wir unterhalten uns noch ein wenig über seine Kinder. Und es ist nett. Dann wende ich mich ab und tanze weiter.
Es ist auch der Moment, in dem mir klar wird, dass ich absolut gar nicht will, dass etwas passiert. Nicht mit ihm, aber auch nicht mit allen anderen. Da ist ein anderer, durchaus atttaktiver Mann, der nur Augen für mich hat. Wir tanzen und er nimmt immer wieder meine Hand, zieht mich aus der Menschenmenge heraus zu sich und ich weiß, ich müsste mich nur rumdrehen, ein Signal senden. Aber ich will nicht. Ich will nicht knutschen, ich will nicht angefasst werden. Ich möchte gesehen werden, aber vor allem möchte ich tanzen, ausgelassen sein, die ganzen leuchtenden (betrunkenen) Augen um mich sehen, mich attraktiv und begehrenswert fühlen und mir völlig darüber im Klaren sein, dass ich all diese Dinge genieße, aber nichts davon brauche. Und vermutlich war das irgendwann mal anders, aber inzwischen ist es genau so. Und so erkläre ich dem Rest meiner kleinen Runde, dass ich es genau so haben will.
„Ich will nicht rumknutschen“, erwidere ich.
Ich mache die Augen zu, tanze wild, weil am Ende eh all das egal ist. Und in diesem Club ist es erstaunlich leicht, der Mittelpunkt zu sein. Aber ich weiß, mit wem ich zusammen sein möchte. Und ich weiß auch, dass es nicht schlimm ist, wenn nichts daraus wird. Dann ist es so. Und dann ist es immer noch kein Grund, mit fremden Menschen, die mir nichts bedeuten, mechanisch rumzumachen. Irgendwann wird der Zeitpunkt kommen und ich werde wissen, dass das, was ich mir mal insgeheim gewünscht habe, nicht nur eine Wunschvorstellung war.
„Wir gehen“, sagt ein Teil meiner Gruppe. Und ich bin froh, weil es ganz gut ist, dass ich mich nicht weiter winden muss. Aber ich bin auch traurig, dass ich so plötzlich aus dieser Atmosphäre gerissen werde. Es ist schön, zu tanzen, fröhlich und betrunken zu sein. Gibt es noch mehr betrunkene Menschen, die währenddessen daran denken, dass das Leben durchaus sehr endlich ist und dass es okay ist, ab und an diese betrunkene Leichtigkeit zu empfinden – so lange es nur das ist? Letztendlich ist es egal. Aber jedes Mal, wenn ich fröhlich bin, egal ob betrunken oder nüchtern, denke ich, dass es die Momente sind, die ich besonders genießen möchte.
Wir gehen, sage ich dem blonden Mann, der gar nicht blond ist. Ich sage das auf Englisch und denke ein paar Mal, dass mir das vor meinen letzten Reisen nicht so leicht gelungen wäre. Nicht, dass mein Englisch inzwischen gut wäre, aber es ist mir mittlerweile nicht mehr so wichtig, wie es klingt. So vieles hat sich nicht geändert, aber eine Menge eben vielleich doch. Der Mann ist bestürzt. Er sagt, ich wäre eine „hot woman“ mit einem „hot body“ und ich lächle. Und wir gehen.
Und das war’s. Wir sitzen noch auf einer Bank, auf der wir nur sitzen, weil ich eine Sekunde schneller bin als ein paar fünf Jahre jüngere Typen, mit denen wir uns unterhalten und die meinen Humor wohl ziemlich witzig finden. Da ich es nicht so oft erlebe, dass Menschen meinen Humor auch (direkt) als solchen wahrnehmen (und auch noch gut finden), genieße ich es. Ja, ich genieße es, mich so begehrenswert zu fühlen. Aber inzwischen kann ich das auch ohne diese Art von Begegnungen empfinden.
Dann fahre ich mit dem Taxi. Durch die Stadt, die ich nach wie vor wahnsinnig liebe. Und an deren Rand ich nach wie vor wohne.
Und der Taxi-Fahrer erklärt mir, warum Deutschland keine Demokratie sei. Und ich versuche, lallend und unbeholfen zu erklären, warum das ein totaler Quatsch ist. Ich schaffe es nicht mehr wirklich – so ist es ja immer mit Menschen, die von etwas fest überzeugt sind und einem nur davon erzählen, um ebenfalls davon zu überzeugen – aber zumindest schaffe ich es nach Hause.
interessante einblicke. 🙂
LikeGefällt 1 Person
Danke! 😉 Interessant ist immer ein sehr diplomatisches Wort! 😁
LikeLike
Ich meine das im Sinne von Erkenntnisse bringend. Für mich. 👍😇
LikeLike
Welche Erkenntnisse bringt es dir? 🤔😄
LikeLike
Dass Frau so denken und handeln kann, einfach, weil sie will.
LikeLike
So? 🤔 Ich glaube, Männer können das auch. 😁
LikeLike
ja, ich glaube schon, aber ich meinte jetzt dich als frau. manchmal kommt es eben zu aha momenten, für mich war das ein solcher. 😉
LikeGefällt 1 Person
Na gut, jetzt kann ich es zumindest etwas besser einordnen. 😁
LikeLike
Bin halt eigentlich einfach gestrickt 😇
LikeLike
Denkst Du denn, dass Du betrunken besser schreibst? 🙂
LikeLike
Nein! Auch wenn ich jedes Mal erstaunt bin, wie gut das mit dem Schreiben dann noch klappt! 😅 Aber es ist definitiv eine Spur ehrlicher und direkter.
LikeGefällt 1 Person